Ein rätselhafter SchimmerDie Wilden Zwanziger in einer poetischen Amüsierschau

2 Im Park

Im Park mit Joachim Ringelnatz

Der schon als Junge stets zu Streichen aufgelegte Joachim Ringelnatz – 1883 als Hans Gustav Bötticher in Wurzen geboren – wächst in einem toleranten und kreativen Elternhaus auf: Sein Vater, der selbst humoristische Gedichte und Erzählungen in sächsischer Mundart verfasst und den damals sehr beliebten Auerbacher Kinderkalender herausgibt, ist sehr stolz auf die dichterischen Fähigkeiten seines Sohnes. Auf Familienfeiern trägt der kleine Bötticher stets originelle kleine Geschichten und Gedichte vor.

In der Schule hingegen ist der aufmüpfige Schüler bei den strengen Lehrern nicht sehr beliebt. Als er sich als Vierzehnjähriger während der Hofpause ein „H” auf den Arm tätowieren lässt, wird er der Schule verwiesen und auf die Tollersche Erziehungsanstalt strafversetzt. 1901 besorgt ihm der Vater eine Lehrstelle auf einem Segelschiff – ein lang gehegter Traum Hans Böttichers. Als Schiffsjunge bereist er auf verschiedenen Schiffen drei Jahre lang die Welt. Nach Entlassung als Bootsmaat beginnt er eine Kaufmannslehre und fängt an, nebenbei zu schreiben und malen.

Schnell wird es ihm als Angestellter jedoch zu langweilig, und er begibt sich auf Reisen durch Europa in Richtung England. Mit Gelegenheitsarbeiten hält sich der junge Mann über Wasser. Als Obdachloser landet er sogar einmal im Gefängnis von Antwerpen, bis er 1909 schließlich nach München kommt. Hier entdeckt er das Künstlerlokal „Simpl”. Nun beginnt seine literarische Karriere: Allabendlich trägt er seine Verse vor und wird so zum Hausdichter des Simpl. Zeitgleich eröffnete er das Ladenlokal „Das Tabackhaus: Zum Hausdichter”. Im Schaufenster wirbt ein Skelett mit dem Schild: „Damen und Herren werden auf Wunsch gegen Bezahlung angedichtet.” Der Laden ist ein Flop und muss nach einem Jahr wieder schließen. Doch in verschiedenen Zeitschriften werden erste Gedichte von ihm veröffentlicht.

1914 meldet sich der 31jährige Bötticher, wie so viele seiner Zeitgenossen, freiwillig zum Krieg, den er größtenteils auf dem Außenposten einer Luftabwehr-Maschinengewehrabteilung in Cuxhaven verbringt, wo sein liebevoll gepflegtes Terrarium voller Blindschleichen, Frösche, Eidechsen und Ringelnattern seinen Ruf als Sonderling festigt.

Nach einem entbehrungsreichen Nachkriegsjahr wird 1919 aus Hans Bötticher schließlich Joachim Ringelnatz. Er klärt nie auf, ob das Pseudonym ein poetisches Andenken an seinen „Cuxhavener Schlangenzoo” ist oder doch eher an das Seepferdchen (seemännisch „Ringelnass”) erinnern soll. 1920 heiratet er seine Frau Leonharda Pieper, von ihm liebevoll „Muschelkalk” genannt.

Fortan lebt er als reisender Vortragskünstler und Kabarettist und bestreitet so seinen Lebensunterhalt. Seine abwechslungsreichen Programme begeisterten das Publikum. Zwischen 1910 und 1932 schreibt Ringelnatz fast 20 Bücher.

Mit Machtantritt der Nationalsozialisten werden seine Bücher auf den Index gesetzt, und Ringelnatz erhält Bühnenverbot. An einer lang verschleppten Tuberkulose stirbt Ringelnatz 1934 schließlich im Alter von nur 51 Jahren in Berlin. Auf seinem Grab auf dem Waldfriedhof in der Heerstraße liegt eine Grabplatte aus Muschelkalk.

[Lotta Stein]

Vollmond

Im Park (0:34)
Gedicht von Joachim Ringelnatz

Sprecher: Christian Manchen
Aufnahme und Mix: Christian Manchen, Siggi Samoa Records, Münster 2021

Münster, 2021