Ein rätselhafter SchimmerDie Wilden Zwanziger in einer poetischen Amüsierschau
Die Ursonate

21 Sonate in Urlauten

Kurt Schwitters stellt selbst eine Theorie für das Dichten auf; eine Art eigene Logik, die er als „Schwitters-Logik“ bezeichnet. Diese Logik schreibt für das Gedicht im Allgemeinen vor: „Nicht das Wort ist ursprünglich Material der Dichtung, sondern der Buchstabe.“ Danach ist das Wort erstens eine Komposition von Buchstaben, zweitens Klang, drittens Bezeichnung (Bedeutung) und viertens Träger von Ideenassoziationen. Analog zur abstrakten Malerei wird Sprache nur als Lautmalerei verwendet und nicht in inhaltlich-bezeichnender Funktion. Dadurch nähert sich die Lyrik stark der Musik an.

An seiner Ursonate arbeitet Schwitters neun Jahre lang, während um ihn die Welt in ihrer schlimmsten Wirtschaftskrise versinkt, Rechtsradikale und Kommunisten sich Straßenschlachten liefern und ein gewisser Adolf Hitler Reden hält, die der Ursonate vom Klang her gar nicht so unähnlich sind.

Inspirieren zu dem Lautgedicht lässt sich Schwitters durch seinen Schweizer Dada-Freund Raoul Hausmann, welcher 1921 sein phonetisches Gedicht mit der Anfangszeile „fmsbwtäzäu“ vorträgt. Heute gilt die Ursonate als Schlüsselwerk des Dadaismus.

Berühmt ist die Aufnahme aus dem Jahr 1932, auf der Schwitters mit einem Teil seines Werks zu hören ist. Auf der Grundlage der langen Entwicklungsphase des Stückes ist bis heute unklar, welchen Umfang das Werk tatsächlich hat – hier wird in lyrischen Fachkreisen heiß diskutiert, welche denn nun die „originäre“ Version sei.

Unbestreitbar ist ihre Wirkung auf unsere Ohren. So schlug der britische Jazz-Sänger George Melly eine Horde angriffslustiger betrunkener Rüpel in einem Vorort von Manchester durch die Rezitation der Ursonate in die Flucht.

[Lotta Stein und Christian Manchen]

Foto: Christian Manchen trägt die Sonate in Urlauten vor, Landesmuseum, Münster; (c) Karsten Ziegengeist

Sonate In Urlauten
Ausschnitt aus dem gleichnamigen dadaistischen Lautgedicht
Text: Kurt Schwitters

Sprecher: Christian Manchen
Aufnahme & Mix: Christian Manchen bei Siggi Samoa Records / Münster, 2021

Münster, 2021