Ein rätselhafter SchimmerDie Wilden Zwanziger in einer poetischen Amüsierschau
Tippmamsell

6 Tippmamsell

Die Tippmamsell an Tisch 17 ist nur eine der dreieinhalb Millionen angestellten Frauen in der Weimarer Republik. Täglich nimmt sie an ihrem kleinen Tisch mit der mechanischen Schreibmaschine Platz und vervielfältigt Dokumente. Sie teilt sich den großen Büroraum mit zwanzig anderen Frauen. Berauschend ist die Bezahlung nicht, aber sie ermöglicht ein kleines bisschen Unabhängigkeit.

Jede dritte Berlinerin ist in den 1920ern erwerbstätig – auch aus der Not heraus. Viele Männer sind im Ersten Weltkrieg gefallen oder können als Invaliden nicht mehr arbeiten; hinzu kommt, dass die Inflation Erspartes wertlos werden lässt. Nur das Gehalt des Ehemanns ist inzwischen schlicht zu wenig, und so leisten Frauen mit ihrer Arbeit einen Beitrag zum gemeinsamen Haushalt oder dem ihrer Eltern. Daneben bleibt für einige Frauen endlich Geld für die eigenen Bedürfnisse.

Gleichzeitig wollen immer mehr Arbeitgeber Frauen einstellen, vor allem im schnell wachsenden Angestelltensektor. Frauen beraten als Verkäuferinnen im Kaufhaus, verbinden als Telefonistinnen Anrufe oder tippen als Bürokraft an der Schreibmaschine. Diese Arbeitsplätze sind leichter, angesehener und besser bezahlt als die Schufterei in Fabrik oder Landwirtschaft.

Der Beruf der Sekretärin gewinnt in den 1920ern an Bedeutung, weil die Verwaltungsarbeit zunehmend verschriftlicht wird. Den Beruf des Sekretärs gibt es schon lange. Wie sich nun zeigt, können diese Arbeit Frauen ebenso gut machen. Es muss ihnen auch nicht so viel gezahlt werden wie den Männern. So jedenfalls die damals vorherrschende Meinung.

Das monotone Klacken und Surren der Schreibmaschinen erfüllt den Raum. Die Tippmamsell tippt schneller. Nur noch zwei Stunden bis zum Feierabend. In Gedanken ist sie schon bei Ludwig, der sie heute Abend zur Tangomusik über die Tanzfläche führen wird. Ach, Ludwig ...!

[Lotta Stein]

Tippmamsell (0:40)
Ausschnitt aus dem gleichnamigen Lied vom Trio Größenwahn

Komposition & Arrangement: Trio Größenwahn
Schreibmaschine: Lotta Stein
Klavier: Christian Manchen
Kontrabass: Christoph Kopp

Aufnahme und Mix:
David Heinrich im Soundchip Studio / Münster, 2017

Final Mixing:
Philipp Kopp im Two Stroke Studio / Berlin, 2017

Münster, 2015